aaaaaLesung mit Otmar Hitzelberger

Mittwoch
4.6.03
20.00 Uhr

 

Otmar Hitzelberg liest aus seinem bei der Büchergilde erscheinen Roman "Schritt für Schritt ins Paradies". Die Moderation übernimmt Heinrich Pachl. 

Otmar Hitzelberger, 1955 in Frankfurt am Main geboren, machte Anfang der Siebzigerjahre eine Autoschlosserlehre. 1985 absolvierte er sein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin und drehte die Komödie Kranke Männer, später Porträts, Werbe- und Industriefilme, unter anderem für die Deutsche Bank – jenes Geldinstitut, das in den Siebzigerjahren in Frankfurt Zielscheibe zahlreicher Angriffe war. Die Drehbuchfassung für seinen Roman Schritt für Schritt ins Paradies hat Otmar Hitzelberger kürzlich fertig gestellt. Zurzeit arbeitet er an einer Filmdokumentation über arbeitslose Jugendliche. Er ist Vater von zwei Söhnen und lebt in Frankfurt am Main.

Interview mit Otmar Hitzelberger

"Ich bin aufgewacht und hab gesehen, woher wir kommen, wohin wir gehen, und der lange Weg, der vor uns liegt, führt Schritt für Schritt ins Paradies."

Rio Reiser (Ton Steine Scherben)

Worum geht es in deinem Buch "Schritt für Schritt ins Paradies"?

Es geht um Frankfurt, es geht um die Arbeiter- und Lehrlingsbewegung in den Siebzigerjahren. Der Roman erzählt von drei Jugendlichen, die in dieser Zeit in Frankfurt ihr Unwesen getrieben haben. Alle drei haben bei der Stadt Frankfurt gelernt und die Geschichte beginnt mit der Jugendvertreterwahl der Lehrlinge, die eine Ausbildung als Autoschlosser, Elektriker und Schreiner gemacht haben. Das waren insgesamt etwa 120-140 Lehrlinge.

Ist das Buch autobiografisch oder ein Roman? Wieweit deckt sich das mit deiner Lebensgeschichte?

Gute Frage – eigentlich ist es ein autobiografischer Roman. Aber ich habe mir die Freiheit genommen, aus vier Beziehungen eine zu machen, aus vier Freunden zwei, um nicht zu viele Personen zu haben. Der Roman beschreibt eine Zeitspanne von 6 Jahren. Die Zeit der Lehrlingsausbildung nimmt zwei Drittel der Zeit ein und im letzten Drittel geht es um die Frankfurter Szenegeschichte, um den Häuserkampf, um die besetzten Häuser, um die Zeit, in der es in Frankfurt jede Woche irgendwelche Demonstrationen gab, die Zeit, in der die drei Lehrlinge in diese Szene hineinwachsen und mit den politischen Größen zu tun haben.

Ein Thema in "Schritt für Schritt ins Paradies" ist ja unter anderem die Hausbesetzer-Szene in den Siebzigern. Das galt damals als neue Lebensform und ihr wolltet das wohl auch vorleben!?

Wir haben damals in einem der vielen besetzten Häuser gewohnt, in dem freies und neues Leben propagiert wurde. Das Leben in dieser WG war für uns damals das Non-plus-ultra, ein Leben, das uns geprägt hat. Wir sind in die Vietnam-Bewegung rein – es ging um die Pinochet-Diktatur in Chile, das Franco-Regime in Spanien, alles was anstand wurde diskutiert, wurde umgesetzt, an der Uni im Plenum besprochen und dann wurde demonstriert, dann gab es große Meetings, wo über irgendwas wichtiges geredet wurde. Und schließlich gab es dort auch die tollen, gut aussehenden Frauen.

Ihr habt ja vieles gemacht, was nicht legal war. Wie denkst du heute darüber?

Wir waren ja immer ziemlich knapp an der Grenze zur Kriminalität. Wir hätten ja auch ganz schnell abgegriffen werden können als kriminelle Vereinigung. Da sind Aktionen gelaufen – wenn sie uns da erwischt hätten – das waren keine Jugendsünden mehr. Aber wir haben immer in dem Bewusstsein gehandelt, dass es gegen das Establishment geht. Es ging immer nur um die Sache. Wie haben nie danach gefragt, was uns das bringt. Mit Geld hatten wir überhaupt nichts am Hut. Geld war Nebensache – wir sind irgendwie durchgekommen. Wir haben einfach Sachen gemacht, egal ob das jetzt finanziell was gebracht hat oder nicht. Die Dinge mussten gemacht werden, um die Sache nach vorne zu treiben.

Was sagen die ehemaligen Mitstreiter zur Karriere von Joschka Fischer?

Ich finde das okay, ich kann das akzeptieren. Ich finde es in Ordnung, dass der Joschka diese Karriere eingeschlagen hat, ich finde es auch richtig, dass es solche Leute gibt. Er scheint auch auf dem diplomatischen Feld gut zu handeln. Jeden anderen auf diesem Posten fände ich schlechter. Mein Problem ist vielleicht, dass ich in der Stadt Frankfurt eine Zusammenrottung von Leuten vermisse, die neue Ideen haben, die in Formen leben, die damals interessant waren, die aber auch heute wichtig sind, denn wir kommen in ein Alter, wo man auch ganz schnell vereinsamt oder wo man alleine ist. Das ist auch ein Punkt, den wir nie wollten und deshalb fehlen für mich die Keimzellen, Denker, Vordenker, Macher, die eine Vision haben von dem, wie unser Leben eigentlich weiter geht.

Das Interview führte Jürgen Sander, Redaktion Büchergilde:magazin

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Der andere Buchladen – Programmbuchladen seit fast 30 Jahren – ist umgezogen und alles bleibt anders, aber anders wird es schon: endlich haben wir Platz genug und können unsere Lesungen & Diskussionen in unserem Buchladen veranstalten. Nach mehr als hundert Veranstaltungen in befreundeten fremden Räumen fand die erste Lesung am 5. Juni 2002 in unserem Laden im Weyertal 32 statt. Zu Gast war Ray Loriga.